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Lebenseingeschränkte Mitmenschen

Verantwortlicher Autor: Peter-G. Rademacher ENA Oliver Schöpf DVPJ Teningen, 23.05.2021, 15:36 Uhr
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Teningen [ENA] Seit längerer Zeit nun müssen wir unter Einschränkungen unseren Alltag in Beruf, in der Familie und in unseren sozialen Strukturen erleben und bestreiten. Auch deswegen ist es uns ein Anliegen den Blick auf das Leben unserer lebenseingeschränkten Mitmenschen zu lenken. Unter uns leben und wirken eine Großzahl von Menschen mit Behinderungen, gesundheitlichen Defekten, Invaliditäten,

mentalen oder geistigen Einschränkungen, die wir Gesunde oft vergessen, missachten oder gar benachteiligen. In bestimmten Zeiten der Menschheitsgeschichte waren Menschen mit gewissen Lebenseinschränkungen nicht lebens- oder überlebensfähig. Infolge der rasanten technologischen und medizinischen Entwicklung der letzten hundert Jahre ist es heute jedoch möglich Menschen mit Behinderung oder Einschränkungen ein lebensfähiges und lebenswertes Dasein zu schaffen. Ob diese Möglichkeit Realität wird, hängt unserer Überzeugung nach immer auch vom Bewusstsein jedes einzelnen Gesunden ab.

Ob es der Gemeinderat ist, der ein neues behindertengerechtes Bauprojekt startet oder es der Autofahrer auf dem belegten Kundenparkplatz ist, der nicht auf dem Behindertenparkplatz parkt, sondern ein paar Schritte mehr geht, es geht immer um Bewusstsein und Wollen. Einerseits erfahren wir alle gerade, wie es ist mit Einschränkungen zu leben. Andererseits ist es unsere soziale Verantwortung auf den Schwächeren zu achten und ihm mit sicherem Stand die Hand zu reichen. Schon allein das Bewusstsein, dass Dinge, die wir spielerisch meistern, für andere Mitmenschen eine belastende Herausforderung darstellen, ist ein großer Schritt in die richtige Richtung von Wohlwollen und Solidarität.

. In Zukunft werden wir mehr Solidarität von uns selbst aus üben müssen um weiterhin dem Begriff Gesellschaft gerecht werden zu können. Entkommen werden wir diesem anstehenden Entwicklungsschritt nicht, wollen wir eine menschliche Gesellschaft bewahren oder gar weiter entwickeln. Jeder, der einen Pflegefall in der Familie zu betreuen hat oder von heut auf morgen ein behindertes Familienmitglied integrieren muss, weiß wie wenig unsere Gesellschaft, unsere Mentalität und oftmals auch unser Gesundheitssystem bietet, diese Herausforderungen zu meistern, sodass eine Lebenseinschränkung nicht zum Totaldesaster der Betroffenen wird.

Auch das sogenannte System rechnet stark damit, dass wir die Aufgaben des Sozialstaates bald selbst durch Eigeninitiative und Ehrenamt im Rahmen der Gesetze übernehmen. Insofern eine gute Idee, wenn wir uns darauf einlassen zu erkennen, was es heißt seinen Alltag im Rollstuhl oder gar in einem Pflegebett zu verbringen. Der zentrale Wunsch unserer Mitmenschen mit Lebenseinschränkungen ist es in ihrer Situation erkannt und beachtet zu werden. Es ist nicht so sehr die schnelle Hilfe des Gesunden für den behinderten Mitmenschen im Alltag, die erhofft und gewünscht ist, sondern der Bedacht im Miteinander, das Recht auf dieselben Bedürfnisse und der Trost nicht allein zu sein.

. Ein einfacher Gruß oder der Blickkontakt reichen oftmals schon aus um dem Mitmenschen zu zeigen, wir leben und sind hier gemeinsam. Gerade im Hinblick auf das Miteinander mit lebenseingeschränkten Mitmenschen liefern wir den Beweis, dass wir soziale Wesen sind, in den meisten Belangen aufeinander angewiesen. Denn unsere Zeit ist endlich, wir leben von geborgten Ressourcen und es ist ein schönes Gefühl sich auf die Gemeinsamkeiten zu freuen als sich von Unterschieden trennen zu lassen. Unsere Kinder kennen dieses Urvertrauen, nur schade dass es nicht gefördert wird. Im Gegenteil: Als junge Erwachsene haben wir wichtige Sozialinstinkte meist schon verloren.

. Daran gilt es zu arbeiten. Wir würden uns freuen, wenn Sozialkompetenz und nicht Sozialkunde oder Empathie statt religiöses Mitleid auf den Schulen gelehrt werden würden. Soziale Wohnprojekte integrierter Generationen und Integration der Schwachen müssen erdacht werden, ein großes Miteinander angestrebt werden statt Rendite und Gewinn dargestellt in virtuellen Zahlen, die verschwinden, wenn der Strom ausfällt. Mehr denn je ist es Zeit integre Wünsche für Menschlichkeit und Solidarität zu erdenken und zu äußern aber dennoch nicht einzufordern. Insofern richtet sich unser Dank besonders an diejenigen, die Solidarität sowie Bedacht üben und vorleben.

Der Pflegenotstand ist ein Phänomen, das uns schon seit vielen Jahren aufgezeigt wird. Doch außer ein paar wenigen schalen Worte seitens der Amtsträger scheint keine Verbesserung für die Pflegekräfte in Entlohnung und Gestaltung ihres Berufs einzutreten. Denn Geld und Rendite sollten nicht die bestimmenden Kräfte im Gesundheitswesen einer Gesellschaft sein, sondern lediglich ein Mittel zur Ermöglichung eines würdigen Pflege- und Betreuungsystems. Die Verantwortung liegt bei uns allen.

Denn die Forschung der Psychologie des Menschen zeigt, dass wir einen Urinstinkt zu Gerechtigkeit und Solidarität haben. Man hat dieses Verhalten als negative Reziprozität bezeichnet. Diesen Urinstinkt gilt es zu fördern und zu fordern. Das soziale Wesen steckt tief in uns und der Mensch und seine Gesellschaft nehmen Schaden, wenn das soziale Wesen nicht wirken kann. So ist es an uns unser Urvertrauen zu finden und zu bewahren.

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